Mit geschwungenen Formen und dem typischen Wiener Geflecht eroberte der Möbelhersteller Thonet von Wien aus die Welt.
Möbel von Thonet erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Die einen schätzen sie als Klassiker mit Geschichte und Patina, die anderen als zeitlose Designikonen mit Sammlerwert. Zu finden sind die Möbelstücke überall – in Privathäusern, in Wartezonen und Lounges, in Büros und Kaffeehäusern, aber auch in Museen. Denn die Entwürfe des Möbelherstellers zählen zu den bedeutendsten der Möbelgeschichte: Einerseits wegen des revolutionären Bugholzverfahrens, das die geschwungenen Formen ermöglichte, andererseits wegen des innovativen Baukasten-Prinzips: Die einzelnen Komponenten wurden arbeitsteilig gefertigt und nach Bedarf kombiniert – das ermöglichte eine rasche Fertigung und vereinfachte gleichzeitig den Transport deutlich.
Vom Rhein an die Donau
Erfunden wurde die bahnbrechende Innovation von Michael Thonet, einem gelernten Schreinermeister. Nachdem er 1819 die Werkstatt seines Vaters in Boppard am Rhein übernommen hatte, begann er mit Furnierstreifen, die er in Leim kochte und zu schwungvoll geformten Teilen aus Schichtholz verklebte, zu experimentieren. 1841 lernte der Handwerker Österreichs Außenminister Metternich kennen, der in nach Wien einlud.
Ein Jahr später übersiedelte Michael Thonet nach Wien, bereits ein Jahr später erhielt er hier das Patent, „jede, selbst die sprödeste Gattung Holz auf chemisch-mechanischem Wege in beliebige Formen und Schweifungen zu biegen“. In seiner ursprünglichen Heimat war ihm dies verwehrt worden. Sieben Jahre nach seiner Übersiedlung nach Wien gründete Thonet in Wien sein eigenes Unternehmen und holte seine Familie in die Donaumetropole.
Von da an ging es Schlag auf Schlag: Anna Daum, die Besitzerin des Wiener Kaffeehauses Daum, erteilte ihm seinen ersten Großauftrag für Bugholzmöbel, von der Londoner Weltausstellung im Crystal Palace kehrte er 1851 mit einer Bronzemedaille und vollen Auftragsbüchern nach Wien zurück.
Zwei Jahre später überträgt Michael Thonet die Firma auf seine fünf Söhne und führt sie gemeinsam mit diesen unter dem Namen „Gebrüder Thonet“ weiter. Erste Aufträge aus Übersee folgten. 1856 gelang es ihm erstmals, massive Hölzer ohne Verleimung zu verarbeiten, wofür lange Rundstäbe aus Buchenholz mit Hilfe von Wasserdampf und Druck unter Verwendung eines Zugbandes in Form gebogen und danach eingespannt getrocknet wurden. Thonet ließ sich auch dieses geniale und effiziente Verfahren patentieren und legte damit den Grundstein zur Industrialisierung des Unternehmens.
Kaffeehaus-Stuhl
Den Durchbruch schaffe er 1859 schließlich mit dem Stuhl Nr. 14, heute als Nr. 214 bekannt. Mit diesem eroberte Thonet nicht nur die Kaiserstadt Wien, sondern auch die Welt – das auch Kaffeehaus-Stuhl genannte Modell wurde zum erfolgreichsten Möbelstück der Firmengeschichte. Dieser Sessel erweist sich über den Tod des Firmengründers im Jahr 1871 hinaus als Prototyp nachhaltigen Designs: nachwachsender Rohstoff, auf minimalen Verbrauch reduziert, leicht zu reparieren. Kein Wunder also, dass das Modell 2021 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design ausgezeichnet wurde.
Der Aufstieg von Thonet
Ein rasch wachsendes Netz von Fabriken wurde gegründet – und zwar dort, wo einerseits Rohstoffe und Arbeitskräfte zur Verfügung standen, andererseits Transportwege nahe waren, um die jeweiligen Märkte zu versorgen.
Die Söhne Thonets entwickeln das Unternehmen im Laufe der Jahre schließlich zu einem frühen Global Player mit Filialen und Verkaufsbüros in New York, Ottawa und Moskau.
Ab den 1930er-Jahren konzentrierten sich die Erben Thonets auf ein zweites Standbein, und zwar auf das Stahlrohr. Die Firma, die dazu mit renommierten Designern wie etwa Mies van der Rohe zusammenarbeitete, stieg schließlich zum weltweit größten Erzeuger von Stahlrohrmöbeln auf.
Zäsur nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen allerdings die Werke in Osteuropa verloren, die Verkaufsniederlassung am Wiener Stephansplatz war zerstört. Georg Thonet, Urenkel des Firmengründers, baute zwischen 1945 und 1953 das ebenfalls zerstörte Werk im nordhessischen Frankenberg, das 1889 eröffnet worden war, wieder auf und bald kam – großenteils mit neuen, der Zeit entsprechenden Produkten – der wirtschaftliche Erfolg zurück.
Mit nun technisch verbesserten Möglichkeiten produzierte Thonet vorhandene Entwürfe von Stahlrohrmodellen der Klassischen Moderne zunächst in kleinen Serien. Zudem begann Thonet ab den 1960er Jahren wieder die Zusammenarbeit mit namhaften Designern wie Egon Eiermann, Verner Panton oder Pierre Paulin.
Kooperationen wie diese gab es auch weiterhin: So sind unter anderem auch Stefan Diez, Lord Norman Foster, Alfredo Häberli, James Irvine, Naoto Fukasawa, Piero Lissoni, Glen Oliver Löw, Christophe Marchand, Hadi Teherani sowie Sebastian Herkner auf der Liste der für den Möbelhersteller tätigen Designer zu finden.
Thonet heute
Das Werk in Frankenberg ist nach wie vor in Familienbesitz: Mit Felix und Percy Thonet ist die mittlerweile 6.Generation der Thonet-Familie, die in direkter Linie auf Michael Thonet zurückgeht, im Unternehmen tätig. Andere Teile des Unternehmens wie „Gebrüder Thonet Vienna“, das bis in die 1990er Jahre im Besitz des Wiener Zweigs der Familie war, gingen im Lauf der Jahre in fremde Hände über.
Die tschechische Firma TON gelangte durch die Enteignung des 1861 gegründeten Thonet-Werks in Bystritz (Mähren, heute Tschechien) nach dem Zweiten Weltkrieg an die dort befindlichen Produktionsmittel und Maschinen. „Zu keiner der beiden Firmen besteht eine direkte Verbindung auf familiärer, finanzieller oder organisatorischer Ebene. Eigentlich ist es also ganz einfach: Nur ein Thonet ist ein Thonet“, heißt es dazu von Seiten der hessischen Thonet GmbH.
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