In kaum einem anderen Land ist das Thema Hausmannskost so emotional aufgeladen wie in Österreich: Es geht dabei aber nicht nur um Speisenklassiker wie Rindsroulade, Schweinsbraten oder Palatschinken, es geht vielmehr um Erinnerungen, um Kindheit, um Großmütter, die „nach Gefühl“ kochten, ohne jemals etwas aufzuschreiben.
Ein Thema, das Christoph „Krauli“ Held, nur zu gut kennt. Für den oberösterreichischen Spitzenkoch ist Hausmannskost „Identität“. Und diese Identität bewahrt er nicht nur, er erzählt sie neu. „Wenn man sie neu interpretiert, schreibt man ein Stück davon weiter“, sagt er. Und zeigt es auch – in seinem neuen Buch „Held & Herd“, erschienen im Servus Verlag. Wir stellen Ihnen drei typische Rezepte daraus vor.
Seit 2008 betreibt Held auf dem Siriuskogel in Bad Ischl ein Wirtshaus, das zu einem der beliebtesten Ausflugsziele im Salzkammergut geworden ist. Nur zu Fuß erreichbar, über einen 15-minütigen Wanderweg, erwartet Gäste dort eine Küche, die ganz bewusst auf starre Karten verzichtet. „Ich will weg von der Karte“, erklärt Held. „Am schönsten ist es, wenn du den Gast fragst, was er will – und das bekommt er dann.“
Diese Haltung ist Programm: Rund 90 Kräuter- und Pflanzenarten wachsen im eigenen Garten, 70 Hühner laufen frei herum. Dazu kommen Wild, Fisch und Gemüse aus der Region. Die Basis ist regional, die Umsetzung grenzenlos.
„Wir kochen keine Showküche, wir kochen Erinnerungen“
Held grenzt sich bewusst vom Fine Dining ab. „Ich gehe oft essen in High-Class-Restaurants, weil es mir Spaß macht“, erzählt er. „Aber wirklich in Erinnerung bleiben die einfachen Gerichte. Je einfacher das Gericht ist, desto interessanter finde ich es.“ Für ihn zählt nicht das Spektakel, sondern der Moment, in dem sich Geschmack mit Emotion verbindet.
Seine Philosophie: weniger Zutaten, dafür mehr Tiefe. „Die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei, wo du 20 Komponenten auf einen Teller knallst. Mir ist lieber: ein, zwei solide Grundprodukte – und daraus mit ein paar Handgriffen etwas Besonderes machen.“
Die Pofesen der Oma – ein Stück Kindheit neu erzählt
Ein besonders emotionales Kapitel in Helds Küche sind die Gerichte seiner Kindheit. „Meine Oma war Wirtin, sie hat auf der Alm gekocht – Bratl, Schmoren, Pofesen. Das war Teil unserer Familie.“ Gerade die Pofesen haben für ihn Symbolcharakter: ein altes Rezept, das fast in Vergessenheit geraten wäre.
„Ich habe den Kochprozess verändert, damit sie mehr Crunch bekommen. Das Rezept bleibt gleich, aber das Mundgefühl ist anders. Das begleitet mich bis heute.“ Ob als Highlight im Kochbuch oder auf unzähligen Gastkoch-Events – die Pofesen sind bei Krauli (den Spitznamen verdankt er übrigens seiner Pfadfinderzeit, weil der fünfmal schneller als alle anderen kraulen konnte) immer dabei.
Grammel, Blunzen und Spargel – Tradition in neuen Formen
Dass Hausmannskost auch modern, frisch und verspielt sein kann, zeigt Held in Gerichten wie seinen Grammel-Ravioli. Sie verbinden bodenständige Deftigkeit mit feiner Textur. Oder beim Blunzen-Flammkuchen mit Paradeiser-Chutney, wo ein klassisches Produkt plötzlich mediterrane Leichtigkeit gewinnt. Selbst Sushi-Techniken finden ihren Platz, etwa beim Spargel-Maki mit Roten Rüben und Holler-Ponzu. Die Rezepte finden Sie im Anhang.
Held fasst es so zusammen: „Ich hole mir Einflüsse von überall – aber im letzten Moment bringe ich jedes Gericht zurück in meine Heimat.“
Hausmannskost ist nicht gleich schwer
Noch immer verbinden viele Gäste Hausmannskost automatisch mit Deftigkeit. Held widerspricht entschieden: „Nein, absolut nicht. Du kannst eine Rindsroulade total leicht und locker interpretieren – oder so, dass du nachher nicht mehr aus dem Sessel rauskommst.“ Für ihn gilt: Essen soll Freude machen. „Es darf dich nicht erdrücken. Mein Anspruch ist, dass es Spaß macht – für die, die kochen, und für die, die essen.“
Regionalität als Fundament der Hausmannkost
Ob Wild aus den Wäldern, Saiblinge aus dem Traunsee, Schwammerl aus der Gosau oder Gemüse aus dem Almtal – Held arbeitet eng mit Produzenten zusammen. Für ihn bedeutet Regionalität nicht nur Qualität, sondern auch Haltung. „Bei mir geht die Wildsaison los, wenn der Jäger in die Küche kommt und sagt: ‚Es geht wieder los.‘ Dann verarbeiten wir ganze Tiere. Das ist Regionalität – nicht ein neuseeländisches Hirschkalb aus dem Großhandel.“
Damit knüpft er an ein Wissen an, das im Salzkammergut über Generationen weitergegeben wurde: Kochen im Rhythmus der Jahreszeiten, mit dem, was gerade wächst und verfügbar ist.
Tradition bewahren – und neu erzählen
Hausmannskost ist für Held kein starres Denkmal, sondern ein lebendiges Kulturgut. Manche Rezepte bleiben unberührt, andere interpretiert er neu, verändert Texturen, spielt mit Zutaten, verbindet österreichische Küche mit internationalen Einflüssen. „Ich sage immer: Ich koche heute anders als vor zwei Jahren – und in zwei Jahren wieder anders. Wir verändern uns ständig. Aber manches begleitet mich immer.“
Am Ende geht es für Held darum, die Hausmannskost in ihrer Vielfalt und Aktualität sichtbar zu machen. „Hausmannskost ist Identität. Und Identität lebt davon, dass man sie weiterträgt. Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Wichtig ist nur, dass das Ergebnis Freude macht.“
Hausmannskost reloaded – 3 Rezepte zum Nachkochen
Grammelravioli mit Salbei und geschmolzenen Zwiebeln
Zutaten
Teig
- 400 g glattes Mehl
- 4 Eier
- 2 EL Wasser
- 1 TL Salz (gestrichen)
Füllung
- 20 g Petersilie und/oder Schnittlauch
- 1 Knoblauchzehe
- 200 g Grammeln
- 1 TL Paprikapulver
- Salz, Pfeffer aus der Mühle
- 1 Ei
Geschmolzene Zwiebeln
- 2 rote Zwiebeln
- 6 EL Butter
- 2 TL Zucker
- Salz
Zum Anrichten
- Rosa Beeren (Schinus molle)
- Frischer Salbei
Zubereitung
Für den Teig alle Zutaten miteinander vermengen und zu einer geschmeidigen Masse verkneten.
Am besten funktioniert das mit einer Küchenmaschine, bei Handarbeit hilft es, die Hände vorher mit Olivenöl einzureiben. Den Teig mindestens für 2 Stunden gut gekühlt rasten lassen.
Für die Füllung die Kräuter und den Knoblauch fein hacken und mit Grammeln, Paprikapulver, Salz und Pfeffer vermischen. Den Teig dünn ausrollen und mit einem Ring (Durchmesser ca. 6–8 cm) Kreise ausstechen. Die Grammelfüllung (ca. 2 TL) mittig positionieren, den Teigrand mit dem verquirlten Ei bestreichen und die Scheibe zu einem Halbmond zusammenklappen, den Rand gut zudrücken.
Die Zwiebeln schälen, halbieren und in Streifen schneiden. Danach die Butter in eine Pfanne geben und mit dem Zucker langsam schmelzen, Zwiebeln hinzufügen und langsam bräunen. Nach ca. 8–10 Minuten 2 EL Wasser hinzugeben, salzen und noch 5–10 Minuten bei mittlerer Hitze am Herd stehen lassen.
Die Ravioli im heißen Salzwasser für ca. 3–5 Minuten kochen lassen. Danach in die Pfanne zu den geschmolzenen Zwiebeln geben und gut durchschwenken, mit Rosa Beeren und frischem Salbei finalisieren.
Blunzen-Flammkuchen mit Paradeiser-Chutney
Zutaten
Teig
- 450 g glattes Mehl
- 200 ml Wasser
- 5 EL Pflanzenöl
- 2 Eidotter
- 1 TL Salz
Belag
- 200 ml Sauerrahm oder Crème fraîche
- Saft und Zesten von 1 Bio-Zitrone
- Salz und Pfeffer aus der Mühle
- 2 Birnen
- 150 g Blutwurst
- 100 g Ziegenkäse
- frische Kräuter (Thymian, Rosmarin, Petersilie o. Ä.)
- 1 rote Zwiebel
- Rosa Beeren (Schinus molle)
Chutney
- 500 g gemischte reife Paradeiser
- 2 mittelscharfe Chilischoten
- 1 Zwiebel
- 3 Knoblauchzehen
- frischer Ingwer (in der Größe von 2 Knoblauchzehen)
- 4 EL getrocknete Paradeiser
- 50 g Rohrzucker
- Saft und Zesten von 1 Bio-Zitrone
- 2 EL Apfelessig
- 1 EL Senf
- Salz und Pfeffer aus der Mühle
- 2 EL Olivenöl
Zubereitung
Für den Teig alle Zutaten miteinander verkneten und zu einem homogenen Teig verarbeiten. Sollte er etwas zu flüssig geraten, einfach mit etwas Mehl wieder ausgleichen. Sollte das Gegenteil passieren und der Teig etwas zu bröselig werden, mit ein paar Tropfen Wasser ausgleichen. Den Teig mit Frischhaltefolie abdecken und mindestens 30 Minuten rasten lassen.
Anschließend den Teig sehr dünn zu zwei großen ovalen Fladen auswalzen und auf ein mit Backpapier ausgelegtes Blech legen. Sauerrahm mit Zitronensaft, Zitronenzesten sowie Salz und Pfeffer verrühren und den Teig flächendeckend damit bestreichen. Alle anderen Zutaten gleichmäßig auf dem Flammkuchen verteilen: Dazu die Birnen in kleine Spalten und die Blutwurst in dünne Scheiben schneiden, Ziegenkäse in kleine Stücke reißen oder schneiden, die Kräuter fein hacken und den Flammkuchen damit bestreuen. Die Zwiebel schneiden, mit heißem Wasser übergießen und trocknen, erst dann auf dem Flammkuchen verteilen. Mit dieser Methode verhindert man das Verbrennen der Zwiebel im Ofen.
Den fertig belegten Flammkuchen mit den Rosa Beeren bestreuen und ca. 12 Minuten im auf 240 °C vorgeheizten Backrohr backen.
Für das Chutney die frischen Paradeiser sowie die Chilischoten waschen und klein würfeln. Anschließend Zwiebel, Knoblauch und Ingwer schälen und gemeinsam mit den getrockneten Paradeisern ganz fein hacken. Zwiebeln und Knoblauch in einem Topf mit etwas Olivenöl anbraten, danach den Ingwer und die getrockneten Paradeiser dazugeben und weitere 2 Minuten glasig anschwitzen. Dann die Chilischoten und die frischen, geschnittenen Paradeiser sowie alle anderen Zutaten in den Topf geben und ca. 20 Minuten bei schwacher Hitze einkochen. Das Chutney frisch zum Flammkuchen genießen.
Tipps: Ein frischer bunter Blattsalat schmeckt hervorragend zu diesem Flammkuchen. In Gläser abgefüllt und gekühlt gelagert, hält das Chutney mehrere Wochen.
Spargel-Maki mit Roten Rüben und Holler-Ponzu
Zutaten
- 450 g Sushireis
- 500 ml Wasser
- 4 EL Reisessig
- 2 EL Rohrzucker
- 1 TL Salz
- 1 EL Sojasauce
- 7 EL Rote-Rüben-Saft
- 4 Noriblätter
- 1 Sushimatte
- 50 g frischer Babyspinat
- 140 g grüner Spargel (ca. 12 Stangen)
- 100 ml Ponzu-Sauce (siehe Kochbuch)
- 5 Hollerblüten
- eingelegter Ingwer
Zubereitung
Sushireis mehrmals gründlich mit kaltem Wasser waschen und anschließend mit 500 ml kaltem Wasser aufkochen. Sobald das Ganze leicht köchelt, abdecken und bei niedriger Hitze 15 Minuten garen, danach den Herd ausschalten und abgedeckt nachquellen lassen. Reis gut abkühlen lassen.
Reisessig, Zucker, Salz, Sojasauce und den Rote-Rüben-Saft verrühren und mit einem Löffel gut unter den Reis heben, sodass sich die rosa Farbe, aber auch die Gewürze gut vermischen.
Für die Maki-Rollen ein Noriblatt mit der rauen Seite nach oben auf eine Sushimatte legen (funktioniert auch gut mit einem sauberen Geschirrtuch). Ungefähr 4–5 EL Reis gleichmäßig auf dem Noriblatt verteilen und etwas andrücken – die oberen 2 cm des Blatts bleiben frei (ähnlich wie bei einem Strudel). Anschließend den Reis mittig mit Babyspinat und ca. 3 Stück rohem Spargel belegen. Wer den Spargel nicht ganz so bissfest möchte oder dickere Spargelstangen hat, kann den Spargel 3 Minuten blanchieren und kalt abschrecken.
Dann mithilfe der Sushimatte mit leichtem Druck zu einer Rolle drehen, die 2 cm frei gebliebene Fläche des Noriblatts mit etwas Wasser befeuchten und zu einer kompakten Rolle verschließen. Mit einem sehr scharfen Messer je Rolle 8–9 Maki schneiden.
Für die Holler-Ponzu, die perfekt zu diesem innovativen veganen Rezept passt, in 100 ml fertige Ponzusauce ca. 5 Stunden 5 reife Hollerblüten einlegen. Daraus wird eine aromatische und sehr schmackhafte Sauce.
Die Maki mit der Holler-Ponzu und eingelegtem Ingwer servieren.
Tipp: Anstatt des eingelegten Ingwers, der in Japan obligatorisch zu Sushi und Maki gereicht wird, empfehle ich gepickelten Hokkaido-Kürbis.
Fotos: Alle Fotos Monika Löff
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